‘my7cents’: Dr. Claudia Nagel über neue digitale Dienste und überflüssige Prozesse’
Dr. Claudia Nagel ist Gründerin und CEO von High Rise Ventures, einem Company Builder für PropTechs. Das Unternehmen fokussiert sich auf die Unterstützung von Tech-Start-ups mit erprobten technischen Lösungen, die bisher jedoch keinen konkreten Anwendungsfall im Immobilienbereich gefunden haben. Claudia war davor sieben Jahre lang in der Geschäftsführung von KIWI. Das Unternehmen hat sie als Ideengeberin 2012 gemeinsam mit Christian Bogatu und Peter Dietrich gegründet. KIWI ist Marktführer für digitale Zutrittskontrolle in der Wohnungswirtschaft.
Was hältst Du für maximal unterschätzt im Rahmen der Digitalisierungsdebatte im Immobilienumfeld?
Die Geschwindigkeit mit welcher digitale Geschäftsmodelle bei positivem Product-Market-Fit skalieren, wird aus meiner Sicht von den etablierten Marktteilnehmern maximal unterschätzt. Ähnlich wie das disruptive Geschäftsmodell von Airbnb der Hotellerie das fürchten gelehrt hat, wird es weiterhin neue, unerwartete Marktteilnehmer geben.
Welche digitale Lösung im Immobilienumfeld vermisst Du noch?
Die digitale Hausverwaltung für Selbstverwalter. Hier hat sich in den letzten Jahren einiges getan und doch ist gerade dieses Segment sehr vielschichtig und es gibt noch große Lücken. Neue Anbieter haben digitale Lösungen für WEG Verwaltung, große Hausverwaltungen oder auch Gewerbeimmobilien an den Markt gebracht. Der große Durchbruch steht uns aber noch bevor.
Was sind die drei interessantesten digitalen Dienste, die Du in den letzten sechs Monaten im Immobilienumfeld gesehen hast?
Beim Thema Mieterstrom hat uns das Team von Einhundert mit einem transparenten digitalen Verbrauchsüberblick in Portal App beeindruckt. Die Kombination aus toller UX und Hardware-Produkt von HUM Systems mit dem Produkt livy ist ein weiteres Vorzeigebeispiel. Als Drittes muss unbedingt das digitale Management von Betreiberpflichten, eine neue Produktlinie der Solutiance AG, erwähnt werden.
WeWork hat dank digitalen Technologien das Nutzungskonzept CoWorking-Space bekannt gemacht: was wird das nächste Nutzungskonzept, das auf geteilten Ressourcen beruht?
Die Idee von “Space as a service” und Flexmodellen breitet sich gerade mit rasanter Geschwindigkeit auch beim Thema Wohnen aus. Der CoLiving Trend ist auf dem Vormarsch und hier gibt es neben etablierten Anbietern wie Medici Living zahlreiche neue Player auf dem Feld, so zum Beispiel Xlife aus Kopenhagen oder GoLiving aus Berlin. Dazu kommen CoCo (CoLiving CoWorking) Anbieter, wie C82.
Wenn Du Hausverwalter wärst: was würdest Du mithilfe der Werkzeuge der Digitalisierung sofort abstellen?
Telefonische Terminfindung zwischen Handwerkern, Eigentümern und Mietern. Das ist der mit Abstand ineffizienteste Prozess aktuell. Da ich gerade selbst in zwei Objekten von Wasserschäden betroffen bin, war ich Teil dieser komplett überflüssigen telefonischen Abstimmungsschleifen. Ich erinnere nur an Doodle, die die Terminfindung im privaten Umfeld revolutioniert haben.
Welche neuen Nutzungskonzepte werden dank der Digitalisierung im Office-Umfeld entstehen?
Als Company Builder inkubieren wir durchaus auch mal die ein oder andere Idee. Ein Beispiel ist die intertempi GmbH, ein junges Unternehmen aus Berlin, welches über eine Tech-Platform flexible Nutzungsformen von Office Space anbietet und so den Mietern und Eigentümern ermöglicht, Flächen mit einem hohen Grad an Anpassungsfähigkeit zu betreiben.
Wärst Du bei einer Behörde tätig, und könntest etwas ändern, damit die Digitalisierung in der Immobilienwirtschaft schneller voranschreitet: Was wäre das?
Wir haben uns mehrere Monate mit dem Thema Tiny Houses und Microliving beschäftigt und sind davon überzeugt, dass gerade für temporäre Nutzungen leichte, kleine, alternative Bauten und Konstruktionen ermöglicht werden sollten. Leider spielen hier die Behörden und das Baurecht, was zudem in jedem Bundesland anders ist, nicht mit. Wir vergeben hier eine große Innovationschance!