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‘my7cents’: Dr. Thomas Herr über KI, Shared Economy und neue digitale Nutzungskonzepte

Geschrieben von STEFAN ZANETTI | 25. September 2019

Dr. Thomas Herr ist EMEA Head of Digital Innovation bei CBRE, dem weltweit größten Immobilienberatungsunternehmen auf dem gewerblichen Immobiliensektor. Der promovierte Architekt besitzt langjährige Erfahrung in den Bereichen Planung, Projektmanagement, Due Diligence und technisches Asset Management.  Seit 2014 ist er für CBRE tätig, als das von ihm 2002 gegründete Unternehmen VALTEQ von CBRE übernommen wurde. Thomas Herr war maßgeblich am Aufbau des marktführenden Due Diligence Geschäftes der Gesellschaft beteiligt und verantwortet heute insbesondere die Themen Business Development, Digitalisierung, Innovation und IT. Was er zur Digitalisierung in der Immobilienbranche zu sagen hat, verrät er uns diese Woche in unserer Reihe „my7cents“.

Was hältst Du für maximal überschätzt im Rahmen der Digitalisierungsdebatte im Immobilienumfeld?

Die hohen Erwartungen an künstliche Intelligenz. Meines Erachtens geht es zu häufig um die Hoffnung, die Grenzen der eigenen Intelligenz mit technischer Unterstützung überwinden zu können. Schnelle, umfassende Lösungen basierend auf KI werden antizipiert – aber so schnell wird die Entwicklung nicht stattfinden. Im ersten Schritt wird man Routinearbeiten an KI auslagern können, woraus sich ein schnelles und vernünftiges Abarbeiten von gleichartigen, wiederkehrenden Aufgaben ergibt. Das menschliche Gehirn wird man noch lange nicht ersetzen können. Von Daten und einer Information zu Wissen zu gelangen bzw. das menschliche Gehirn nachzubauen, das wird noch dauern.

Wovon warst Du mal überzeugt, und bist es heute nicht mehr in Bezug auf die Digitalisierung in der Immobilienwirtschaft?

Dass sich der Sinn und der Nutzen der Digitalisierung jedem sofort erschließt. Nachdem ich lange Adaptions- und Lernzeiten begleitet habe, weiß ich, dass es Beharrlichkeit braucht. Zu oft wird die Digitalisierung als die Einführung von Technologie verstanden, doch das ist zu kurz gesprungen und wird der Komplexität bei Weitem nicht gerecht. Um die digitale Transformation zu meistern, muss ein kultureller Wandel stattfinden. Betrachten wir beispielsweise Transparenz: während man früher seinen Kunden, Geschäftspartnern oder seinem Chef niemals etwas Unfertiges, Unperfektes geliefert hätte, heißt es heute “Live in Beta” oder “fail fast, fail often”. Der ehemals angestrebte Perfektionismus muss heute durch den Willen im Kollektiv zu lernen, und andere Parteien an der Ideen- und Lösungsfindung teilhaben zu lassen, ersetzt werden. Dieser Shift muss im Kopf stattfinden, und das braucht Zeit. Vielleicht sogar eine neue Generation.

Welche digitale Lösung im Immobilienumfeld vermisst Du noch?

Ein durchgängiges, einfach handzuhabendes Indoor-Navigations-System. Gerade bei komplexen Gebäuden wie Krankenhäusern, Flughäfen oder Universitäten – denn wer kennt das nicht: die Suche nach dem Seminarraum M235 West. Über das einfache Orten von Indoor-Locations kann so eine Lösung dann auch für Evakuierungen in Notfällen, das Facility Management oder – gekoppelt mit Augmented Reality – zum Einspielen von standortspezifischen Informationen genutzt werden. Aktuell fehlt es noch an einer digitalen Lösung, die das Navigieren für Nutzer im Gebäude so einfach macht, wie außerhalb. Aber wir arbeiten mit guten Partnern daran.

WeWork hat dank digitalen Technologien das Nutzungskonzept CoWorking-Space bekannt gemacht: was wird das nächste Nutzungskonzept, das auf geteilten Ressourcen beruht?

Der nächste weitreichende Trend ist sicherlich Co-Living. Das geteilte Nutzen von Lebensraum wird schon heute realisiert. Das Grundkonzept der Shared Economy lässt sich prinzipiell überall dort auf Gebäude anwenden, wo sich die Investition für mehrere Personen oder Unternehmen lohnt, wie beispielsweise geteilte Labore (“Co-Labs”) oder Werkstätten (“Co-Manufacturing”).

Wenn Du Immobilieneigentümer wärst: was würdest Du mit Blick auf Digitalisierung als Erstes tun?

Als Immobilieneigentümer würde ich als erstes einen digitalen Zwilling meines Gebäudes erschaffen. Also, einen Datensatz erstellen mit den Meta-Informationen zu meinem Gebäude. Diesen würde ich virtuell zugänglich machen, mit Echtzeit-Informationen anreichern und regelmäßig aktualisieren. In der Immobilienbranche leiden wir stark unter Daten-Entropie. Wir denken transaktionsbezogen – und zwischen Bau und Übergabe zerrinnen die Informationen in unseren Händen. Durch einen digitalen Zwilling des Gebäudes könnte ich 80% meiner Zeit, die ich damit verbringe, Informationen zu suchen, zu sammeln, und aufzubereiten, damit verbringen echte Probleme zu lösen, die meine Mieter haben und Prozesse optimieren.

Welche neuen Nutzungskonzepte werden dank der Digitalisierung im Office-Umfeld entstehen?

Die Grenzen des physischen und des virtuellen Raumes werden weiter zusammenwachsen und zunehmend verschwimmen. Architekten von Räumen und Daten werden zusammenarbeiten, um im Büro der Zukunft Co-Creating über die Grenzen des physischen Raums hinweg zu ermöglichen. In der Machine-Economy werden wir immer häufiger mit unbelebten Gegenständen zusammenarbeiten. Das erfordert zum einen Schnittstellenräume, in denen die Vielzahl an komplexen Daten für uns Menschen verständlich gemacht wird. Zum anderen muss der Fokus darauf liegen die Mensch-Maschinen-Interaktionen human zu gestalten.

Die Digitalisierung hat beispielsweise Shoppingcenter unter Druck gesetzt: Kann sie sie auch retten?

Die Arbeit unserer Kollegen in Spanien zeigt, dass Shopping-Center die Digitalisierung auch nutzen können, um den Service vor Ort zu optimieren und ihren Kunden ein nahtloses Einkaufserlebnis zwischen dem realen und virtuellen Shop zu ermöglichen. Konkret wurde für die Betreiber von Shoppingcentern eine Applikation entwickelt, die sowohl den Verkäufern als auch den Käufern zur Verfügung gestellt wird. Hierüber kann zum einen die Kommunikation zwischen den Händlern und den Eigentümer erleichtert werden; noch wichtiger jedoch ist die Vernetzung von Händlern und Kunden auf der Plattform des Center-Betreibers. Das Serviceangebot wird ausgebaut, Endkunden können die Option wählen, sich ihre Einkäufe bequem vom Shop nach Hause liefern zu lassen, die Abwicklung erfolgt über die App. Die Daten eines Online-Kunden werden durch das Login über die App nun auch von den Verkäufern vor Ort einsehbar, was es ermöglicht auf die Kundenpräferenzen bei der Beratung einzugehen. Wird das Shopping-Center als einer der Kunden-Touchpoints in die Analyse eingereiht, kann das Kaufverhalten kanalübergreifend ausgewertet werden. Die Digitalisierung ermöglicht es, den digitalen und den realen Raum auch auf der Ebene einzelner Shopping-Center miteinander zu verbinden – und dabei als Kunde von den Vorteilen beider Räume zu profitieren.

Über die Firma

CBRE ist – in Bezug auf den Umsatz im Geschäftsjahr 2016 – das größte globale Immobiliendienstleistungsunternehmen. Mit mehr als 75.000 Mitarbeitern in über 450 Büros steht CBRE Investoren und Immobiliennutzern als Partner für alle Immobilienbelange weltweit zur Seite.

CBRE bietet ein breites Spektrum an integrierten Dienstleistungen über den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie: von der strategischen und technisch-wirtschaftlichen Beratung wie u. a. beim An- und Verkauf oder der An- und Vermietung, über die Verwaltung und Bewertung von Immobilien bis hin zum Portfolio-, Transaktions-, Projekt- und Facility-Management. CBRE bietet über alle Assetklassen hinweg maßgeschneiderte Beratung aus einer Hand.

Die CBRE Group, Inc. (NYSE:CBG), ist ein Fortune 500- und S&P 500-Unternehmen mit Hauptsitz in Los Angeles, Kalifornien. Seit 1973 ist CBRE Deutschland mit seiner Zentrale in Frankfurt am Main vertreten, weitere Niederlassungen befinden sich in Berlin, Düsseldorf, Essen, Hamburg, Köln, München, Nürnberg und Stuttgart. www.cbre.de